Post by Ralf KoenigDer Fehler war, so eindeutig den
gesetzlichen Rahmen zu verlassen. Und das Risiko der Entdeckung
(Eintrittswahrscheinlichkeit x Schadenshöhe im Eintrittsfall) offenbar
falsch einzuschätzen. Vielleicht auch, dieses Risiko intern nicht zu
kommunizieren.
Die Verhaltensmuster sind "menschlich". Die Eintrittswahrscheinlichkeit
wird kontinuierlich immer geringer eingeschätzt. Scheint logisch, denn
je länger der Regelverstoß besteht und nicht geahndet wird, desto eher
gerät er in Vergessenheit. Der Operand Multiplikation verdeutlicht das
sehr schön, weswegen das Schadensrisiko trotzdem in derselben
Größenordnung bleibt, denn das wird "menschlich" verdrängt.
Post by Ralf KoenigPost by Ralf KieferWenn genug Zeit und Geld vorhanden ist,
wird jeder mögliche Zweig unabhängig so lange vorangetrieben, bis man
ausreichende Argumente für eine Entscheidung hat. Bei VW war wie üblich
weder Zeit noch Geld zur Verfügung.
Und deine Aussage stützt sich auf was?
Beobachtung in der Entwicklung, auch im Laufe der Jahre sowohl bei
Hard-/Software-Themen wie auch durch einzelne Eindrücke im
Automotive-Bereich.
Es werden Entwicklungsmuster gebaut, die der Erprobung eines Konzepts
dienen. KTM brachte zur Dakar 2002 ihren ersten V2-Motor an die
Öffentlichkeit. Da war alles von Grund auf neu: Rahmen/Fahrwerk und
Motor. Aus zuverlässiger Quelle wurde mir berichtet, wie vorher ein
Versuchsträger für den Motor und Antrieb aussah: die hatten eine Suzuki
TL1000 genommen, deren Motor entsorgt und ihr eigenes Motorkonzept
reingesetzt, um einfach ein Fahrzeug zum Fahren zu haben. Das ist keine
zielgerichtete Entwicklung, sondern eine für Teilaspekte.
Andere Beispiele von Bekannten, die in der Entwicklung einiger
süddeutscher Hersteller arbeite(te)n. Die fahren ständig "Dienstwagen",
meist bekannte, aktuelle Karosserievarianten, aber mit irgendwelchen
anderen Komponenten unter der Haube. Die fahren sie im Alltagsbetrieb,
manchmal wissen die genau, was gerade im Fokus der Entwicklung steht,
manchmal gab's Blindtests. D.h. die fahren natürlich auch die Muster der
benachbarten Abteilungen.
Oder $Bekannter fuhr im Alltag eine Zeitlang eine Karosserievariante,
die in den lustigen Schwarzweiß-Schnörkeln beklebt war. Das war zu
diesem Zeitpunkt ein Versuchsträger, der bereits geleakt/vorgestellt,
aber noch nicht offiziell auf dem Markt war. Ich glaube, daß der auch
deswegen rumfuhr, damit Neugierige ggf. abgelenkt werden :-)
Die Fahrzeuge bekommen vielleicht wöchentlich ein anderes Getriebe oder
Motor, Federbeine, Bremsen, Bespaßungsanlage, Scheinwerfer, o.ä., wenn
das gerade im Fokus der Erprobung steht. Die sind vollgestopft mit
wilder Verdrahtung und im Kofferraum ist die Kiste der Überwachungs- und
Aufzeichnungselektronik dafür montiert. Oder frei rumfliegend vor dem
Beifahrersitz :-)
Soll heißen: die probieren ständig irgendwas Neues aus. Nur geht das
nicht, wenn Geld und/oder Zeit für die Erprobung fehlt. Letzteres hatte
VW damals nicht gemäß Spiegel-Artikel über die Zeitnöte 2007/2008 beim
Jetta in den USA.
Post by Ralf KoenigPost by Ralf KieferPost by Ralf KoenigPost by Ralf KieferDie AdBlue-Sache war noch neu,
Die haben sie ja anfangs gar nicht benutzt. Der Jetta BlueTDI (für die
USA) hatte einen NOx-Speicherkat.
Aber sie hatten mit dieser Mercedes-Geschichte dran gedacht und
entwickelt, so wie ich den einen Artikel lese. D.h. sie hatten evtl. die
Option.
Klar hatten sie diese Option. Aber vermutlich wurde die für den Jetta
als zu teuer eingeschätzt.
Genau das wissen wir nicht und werden es vermutlich(!) nie erfahren.
Post by Ralf KoenigSpiegel
Artikel von Mai 2008
"Die Infrastruktur für einen europäischen Start von AdBlue im Pkw steht
schon längst", sagt Carsten Höhne, Produktmanager bei BASF. "Denn Lkw
setzten bereits seit rund fünf Jahren auf die reinigende Wirkung der
blauen Lösung."
Ok, danke.
Post by Ralf KoenigPost by Ralf KieferBTW die 75 und
90PS-Variante braucht keinen Partikelfilter, die 109PS-Variante hat
einen.
Da kann man in die Typprüfwerte (-->KBA) reinschauen. Die EURO4-Diesel
*ohne* DPF kommen ganz knapp unter den 25 mg Partikelmasse pro km von
EURO4 raus.
Auch andere Hersteller hatten sowas im Programm.
Und ja, wer Zeit und Lust hat, kann da auch gern mal nachmessen.
Auf Dich ist beim Ausforschen von Quellen Verlaß :-)
Post by Ralf KoenigPost by Ralf KieferPost by Ralf KoenigHalte ich jetzt für übertrieben. Code kann man aufräumen (Refactoring).
Und man kann die Geschichte (heute) recht gut simulieren. Und soooo viele
Lines of Code dürften das nun auch nicht sein. Am Ende ist das ja ein
Embedded-System.
Dagegen spricht, daß die zu jener Zeit eher Chaos als strukturierte
Entwicklung betrieben bzw. betreiben mußten.
Und dann haben sie 7 Jahre nicht zum Aufräumen genutzt? Und über die
Jahre 20-30 Modelle damit ausgestattet?
Das halte ich für möglich. Bei (Software-)Projekten in dieser
Größenordnung herrscht teils ein unglaublicher Schlendrian, einfach weil
es unüberschaubar geworden ist. Projektleitung ist häufig eine
unterschätzte Tätigkeit. Wie es konkret bei VW war, weiß ich nicht, aber
wenn die unter solchem Zeitdruck irgendwas machen mußten (hier: den
US-Jetta retten), kann ich mir nicht vorstellen, daß das kein Chaos
hinterlassen hat.
Hinterher aufräumen? Wenn das Projekt abgeschlossen ist, gibt's keine
Kostenstelle mehr zum Abrechnen. Zur Minimierung der Projektkosten (und
wg. der Bonuszahlungen/Prämien/variablen Gehaltsanteile) wird ein
Projektleiter/Controller zusehen, daß ein Projekt nach Abnahme ganz
schnell geschlossen wird. Betrachte nur die Stakeholder und ihre
jeweiligen Interessen an einem Projekt! Mit ingenieursmäßiger Sicht
liegst Du ziemlich sicher falsch.
Post by Ralf KoenigPost by Ralf KieferEbenso spricht dagegegen,
daß in deren Variantenreichtum, siehe obige Bemerkung, viel Aufwand und
Komplexität steckt. BTW Embedded System heißt mitnichten, daß das mit
ein paar hundert Code-Zeilen läuft.
Inzwischen sind wir 7-10 Jahre weiter (je nach Referenzzeitpunkt). Und
ich denke, **heute** ist diese Komplexität in Motorsteuerungen ganz
normal. Man kann also mit den Mitteln von *heute* die Probleme angehen,
die vor 7-10 Jahren noch Probleme waren.
Meinst Du die Nachrüstung der laufenden VW-Fahrzeuge "draußen" oder die
Neu-/Weiterentwicklung bestehender Konzepte?
Was die Bestandsfahrzeuge angeht: die haben Hardware von "damals" drin.
D.h. die haben weniger Rechenleistung, weniger Speicher (RAM und ROM)
als heute üblich, und Sensorik ist vorhanden, oder auch nicht. Das
Einzige, was die Software-Leute heute nutzen können, ist der
Erfahrungsschatz der vergangenen Jahre. Sie müssen allerdings ggf. die
Entwicklungswerkzeuge von "damals" nehmen, weil sie die für aktuelle
Entwicklungswerkzeuge nötigen Resourcen nicht in die alten Fahrzeuge
zaubern können. Das betrachte ich eher als Problem als als Segen.
Post by Ralf KoenigAber hier geht's erstmal im engeren Sinne "nur" ums Motorsteuergerät.
Ich schätze mal, das EDC17 (aus dem 2.0 TDI) hat nicht mehr als 1 MB als
Firmware-Größe. Also doch überschaubar. Die Tuner wissen es genau. :-)
Da findet man für EDC17 Größen um 1 MB pro Image. Ich denke, das sind
nicht nur Kennfelder.
Du bemerkst selber, daß es um mehr als das Steuergerät geht, das die
Einspritzanlage sowie die nötige Peripherie steuert.
Ich weiß nicht, auf welchem Stand VW in den hier relevanten
Modelljahrgängen war, denn es gibt schon seit Einführung der Bussysteme
Interaktion zwischen den Teilbereichen, also z.B. zur Klimaanlage. Soll
heißen, daß ggf. nicht nur die offensichtlichen Steuerungen betroffen
sind.
Post by Ralf KoenigSagen wir 1 Befehl mit Operanden ca. 12 Byte.
Dann sind das um die 83.000 Befehle in Assembler, wenn alles vom Flash
ausgenutzt wäre.
In C vielleicht um die 20.000 Lines of Code. Also da muss jetzt keiner
direkt Angst vor haben. Und nur so als grobe Hausnummer.
Wenn Du Dich dabei nicht um eine Größenordnung unterschätzt hast?
Post by Ralf KoenigWenn man sonst mal Linux-Kernel Maßstäbe hernimmt, wo die Entwicklung
aus Automotive-Sicht sicher noch viel chaotischer organisierst ist.
Open-Source-Entwicklung könnte sich vom Stil her unterscheiden.
Gemeinsam ist, daß die Komplexität in einer ähnlichen Größenordnung
liegt. Gemeinsam sind Terminvorgaben für Release-Stände.
Größter Unterschied ist der, daß beim Linux-Kernel Linus die oberste
Instanz ist und alles Software-Entwickler sind, die ihr eigenes
Universum geschaffen haben und dieses konsistent halten und
weiterentwickeln. Bei Automotive arbeiten sehr viele sehr
unterschiedliche Fraktionen zusammen, auch ganz hart und unbeugsam die
Physik :-)
Post by Ralf KoenigDas alte Zeug ist halt endlangsam. K-Leitung mit seinen paar kBit/s. CAN
mit bis 500 kBit/s. Selten mal bis 1MBit/s (High Speed-CAN).
Setze das ins Verhältnis zu den von Dir oben postulierten 1MB
FlashROM-Größe in einer Motorsteuerung: 1MB werden bei 0,5Mb/s in >
16sec übertragen. Das '>' deswegen, weil Bus-Protokolle Zeit kosten,
ebenso Prüfsummen, (hoffentlich!) Authentifizierungen, usw. Nimm dafür
Faktor 4! Da sollte eine Motorsteuerung in 1min aktualisiert sein.
Post by Ralf KoenigABER: wenn Flashen Stunden dauert, will man am Auto auch eine
*verlässliche* Spannungsversorgung fürs Flashen. Und da braucht's dann
eh wieder ein Kabel.
Wenn die Batterie in Ordnung ist, dann steht dem Flashen bei
Batteriebetrieb nichts im Weg. "Over-the-air" wollen die das schließlich
auch so machen. Nehmen wir an, daß ein modernes Kfz 40mA ständig
braucht, d.h. 0,5W. Dann braucht es zur Software-Aktualisierung
vielleicht(!) Faktor 10, also 5W. Wie lange hält eine
Standlichtbeleuchtung mit traditionellen Leuchtmitteln (>=14W) durch?
Post by Ralf KoenigSiehe Autohaus. Viele Neufahrzeuge im Showroom sind
da verkabelt. Mit Strom. Draußen auch mal Solarlader.
Showroom ist was anderes, IMHO. Die können dort den Motor nicht einfach
mal zum Batterieladen laufen lassen, aber die Kunden setzen sich rein,
die Innenbeleuchtung geht, der Kunde probiert die vielen elektrischen
Spielereien Audio, Navigation, Telefon, Fensterheber, Schiebedach,
verstellbare Sitze, usw. durch. Vom Stromverbrauch her ist das nicht
vergleichbar mit Software-Updates.
Gruß, Ralf